Biochemie: Ohne Quantenphysik auf einem Auge blind?
Erst wenige Fachgebiete der Naturwissenschaften — allen voran Kernphysik und Elektronik — haben klar erkannt, dass erst die Berücksichtigung zentraler Erkenntnisse der Quantenphysik ihnen Erfolg beschert.Doch welch großartige Fortschritte haben Biochemie oder Medizin mit Hilfe der ganzheitlichen Sicht der Quantenphysik erzielt?
Bisher — so schreibt Bruce Lipton (ein Zellbiologe) — leider gar keine. Das aber sei schade und könne nicht mehr lange so akzeptiert werden, denn es sei längst klar, dass die Biochemie in Sackgassen endet, so lange sie nicht bereit ist einzusehen, welch wichtige Rolle auch für sie quantenphysikalische Erkenntnisse spielen.
Lipton begründet seinen Standpunkt wie folgt:
Die Quantenphysiker entdeckten, dass Atome — in ihrer physischen Existenz — Summe auf einander einwirkinder Energiewirbel sind, deren wichtigste man Quarks, Gluonen, Photonen nennt. Da jedes Atom sein eigenes, spezifisches Energiemuster hat (nur bestimmt durch den Typ des Atoms), besitzen auch Zusammenschlüsse von Atomen — seien es nun Moleküle oder weit größere "materielle" Strukturen eine für sie typische Energiesignatur. Wenn es möglich wäre, die Zusammensetzung eines Atoms in einem geeigneten Mikroskop sichtbar zu machen, was würden wir dann sehen? Nun, stellen Sie sich Staubwirbel vor, die manchmal in der Wüste entstehen. Wenn sie den Sand und Staub weglassen, dann bleibt ein unsichtbarer, tornado-ähnlicher Wirbel übrig, der Summe dessen ist, was die Physiker Quarks, Gluonen und Photonen nennen. Aus der Entfernung betrachtet könnte uns das Atom wie eine verschwommene Kugel erscheinen, als eine Art Nebelwolke. Es würde als wahrnehmbarer Gegenstand aber zunehmend undefinierbarer werden, je weiter wir uns in sein Inneres begeben. Man könnte es durchqueren und sähe buchstäblich rein gar nichts. Ja, Sie haben richtig gelesen: Jede uns als Teilchen erscheinende Materie-Ansammlung ist genau genommen nur immaterielle Kraft: eine Summe von Wellen, die sich ständig neu formierendes Kraftpotential darstellt. Einsteins Gleichung E = mc2 offenbarte uns, dass Materie nur e i n e Form von Energie ist, es also
Um die Steuerung körpereigener Prozesse zu verstehen,
Sie vernachlässigen, dass die Quantenphysik uns gezeigt hat, dass das gesamte Universum (als einziges in sich abgeschlossenes Quantensystem) eine Integration von einander abhängiger Energiefelder ist, die durch ein Netzwerk von Interaktionen miteinander verwoben sind. Wer sich diese komplexe Interaktion zwischen Materie u n d in anderen Formen vorliegender Energie vor Augen führt, der muss zur Erkenntnis kommen, dass der reduktionistische Ansatz (und vor allem einer, der nur Materie berücksichtigt) in keiner Weise ausreichen kann, die Ursachen von Krankheiten zu erkennen und erfolgreich zu bekämpfen. Biologische Fehlfunktionen können von Kommunikationsfehlern im Körper herrühren, aber auch davon, dass ein Protein so abzuändern, dass es eine seiner Aufgaben etwas anders erledigt, durchaus dazu führen kann, dass es dadurch eine oder mehrere seiner anderen Aufgaben weniger gut erledigen kann: Wie Wissenschaftler der Newtonschen Ära haben diese Besonders deutlich wird diese für den, der die Gefahren der Anwendung irgend eines Medikamentes betrachtet: Nicht umsonst liegt jedem Medikament ein Beipackzettel bei, der mögliche Nebenwirkungen beschreibt, die von nur unangenehm bis hin zu tödlich richen können. Wenn nämlich dem Körper ein Medikament verabreicht wird, die Fehlfunktion eines Proteins auszugleichen, modifiziert dieses Medikament in mehr oder weniger hohem Ausmaß auch die Wirkung möglicherweise zahlreicher anderer Proteine. Wenn beispielsweise ein Medikament verabreicht wird, die Fehlfunktion eines Signals im Herzen auszugleichen, so wird dieser Stoff über das Blut im gesamten Körper verbreitet. Wenn nun als das Gehirn Komponeneten des gleichen Signals verwendet, könnte die Herzmedizin unbeabsichtigt (oder in unbeabsichtigt hohem Ausmaß) auch Funktionen des Nervensystems stören. Da die Gesamtheit der Protein-Protein-Interaktionen im menschlichen Organismus ein Netzwerk von etwa 650.000 Wechselwirkungen darstellt, kann man sich gut vorstellen, vor welcher Schwierigkeit die Pharmaindustrie steht, wenn es gilt ein neues Medikament zu erproben. Auf jeden Fall zeigt solche Redundanz aber auch, welch effiziente Lösungen die Evolution gefunden hat, und woher es kommt, dass Mehrzeller mit sehr viel weniger Genen überleben können, als man lange Zeit dachte. Ein und dasselbe Genprodukt (= Protein) kann für eine Vielzahl von Funktionen eingesetzt werden — ganz so, wie ja auch jeder Buchstabe in unserem nur 26 Buchstaben umfassenden Alphabet Teil von vielen hundert Wörtern sein kann. Beispiel: Histamin ist wichtiger chemischer Signalstoff im Körper, der die Zellen auf Stress-Situationen reagieren lässt. Aber je nachdem, wo im Körper es freigesetzt wird, kann es zwei völlig unterschiedliche Wirkungen haben:
Dies sind erschütternde Statistiken. Sie werfen kein gutes Licht auf einen Heilberuf, der hochmütig die bis zu 3000 Jahre alten Erfahrungen der östlichen Medizin als unwissenschaftlich abtut, nur weil sie dem mechanistischen Verständnis der westlichen Schulmedizin nicht entsprechen. In der asiatischen Medizin, so schreibt Lipton, wird der Körper durch ein weitläufiges System von Energiebahnen bestimmt (sog. Meridiane). Chinesische Abbildungen davon erinnern an einen elektrischen Schaltplan. Mit Hilfe spezifischer Werkzeuge — Akkupunkturnadeln etwa — suchen chinesische Ärzte in den Energiekreisläufen ihrer Patienten auf diesselbe Weise nach » Pathologien «, wie Elektroinstallateure mit einem Spannungsprüfer ein elektrisches System überprüfen. |
Quelle:
Lipton, Bruce H. (2006): Intelligente Zellen — wie Erfahrungen unsere Gene steuern, Kapitel 4 (Seite 96-120)
Dort referenzierte Original-Literatur:
- Null G. et al., (2003): Death by Medicine, New York, Nutrition Institute of America
- Starfield, B. (2000): Is US Health Really the Best in the World? Journal of American Medical Association 284(4): 483-485
Diskussion
Auf den ersten Blick scheint Lipton in dieselbe Kerbe zu schlagen, wie auch der Biologe Sheldrake: Beide berufen sich darauf, dass Biologie und Medizin unbedingt die Erkenntnisse der Quantenphysiker zur Kenntnis nehmen sollten — dies bislang aber nicht tun (!).
Bei genauerem Hinsehen aber fällt auf, dass
- Rupert Sheldrake mit seiner Kritik am rein mechanistischen Weltbild der Biologen und Schulmediziner an Quantenphysik denkt, da es dort nicht-lokale Objekte gibt (und er ein solche auch aus biologischer Sicht heraus entdeckt zu haben glaubt: ein kollektives Gedächtnis sämtlicher Organismen),
- wohingegen Bruce Lipton mit seiner — ansonsten durchaus einleuchtenden — Kritik eigentlich gar nicht Bezüge der Biologie zur Quantenphysik vermisst, sondern lediglich eine Analogie entdeckt hat: Ihm ging die Tatsache auf, dass kein Teilsystem eines lebenden Organismus als in sich abgeschlossen betrachtet werden darf: Die Funktion echter Teilsysteme ist stets kontextabhängig — abhängig also von der Rolle, die dieses Teilsystem (ein bestimmter Protein-Rezeptor etwa) im Organismus auszufüllen hat.
Interessant ist, dass für Lipton im Grunde schon die Membran jeder Zelle "intelligent" ist. Er sieht sie als "Gehirn" der Zelle, welches arbeitet wie ein Computer, da sie Reize registriert (über Rezeptoren) und die dann (als aus der Umgebung der Zelle kommende Signale) ins Zellinnere transportiert. Die Aktivität jeden Gens, so glaubt Lipton, wird durch die An- oder Abwesenheit des ihm zugeordneten schützenden Proteins gesteuert, welches aber seinerseits auch wieder unter dem Einfluss von Umweltsignalen steht [Lipton, Seite 68]. Kurz:
hängt vor allem davon ab, welche Signale sie aus ihrer Umwelt emfangen.
Noch deutlicher gesagt:
Damit ist nun klar, warum die um die Jahrtausendwende gelungene komplette Entschlüsselung z.B. des menschlichen Genoms den erwarteten Erkenntnisgewinn n i c h t gebracht hat: Man hatte erwartet, dass allein schon der Typ eines Gens seine Wirkungsweise definiert — so einfach aber ist es nicht.
Ray Kurzweils Aufsatz » The new era of health and medicine as an information technology is broader than individual genes « sagt mehr dazu.
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